LANDKREIS. Drei Jahre lang haben Wissenschaftler, Kommunen und Bürger im
Projekt KLEE (Klimaanpassung Einzugsgebiet Este) daran gearbeitet, Probleme mit
Hochwasser und Sedimenten am Fluss zu lösen. Jetzt gibt es
Handlungsempfehlungen.
Als Modellfluss zur Entwicklung einer Zukunftsstrategie für den Klimawandel
ist die Este ideal: In den letzten 100 Jahren wurde sie immer wieder begradigt,
Auen fielen der Versiegelung zum Opfer. Schon jetzt gibt es fast im gesamten
Flussverlauf Probleme mit Hochwasser und Sedimenten (Ablagerungen von Sand und
Schlick). Durch den Klimawandel ist zu erwarten, dass sich das verschärft:
Starkregen und dadurch Hochwasser dürften häufiger auftreten, während der
Meeresspiegelanstieg den Schutz gegen Sturmfluten an der tidebeeinflussten
Mündung erschwert.
Bei KLEE ging es darum, sich dafür zu wappen und dabei möglichst den Belangen
aller Flussanrainer gerecht zu werden. Wissenschaftler von der TU
Hamburg-Harburg, Vertreter von Kommunen entlang der Este, von Interessengruppen
und Bürgerinitiativen und aus Verwaltung und Politik haben mitgemacht. Insgesamt
waren 74 Organisationen dabei – darunter Anwohner von Oberlauf und Unterlauf,
Landwirte, Stadtplaner und Naturschützer. Jetzt ist es gelungen, im Konsens eine
Priorisierung der KLEE-Bausteine für die Anpassung an den Klimawandel zu
erarbeiten. Basis war eine Bewertungsmatrix, die sowohl wissenschaftliche
Erkenntnisse als auch unterschiedliche Interessenlagen berücksichtigt. Nun
mündet das Projekt in Handlungsempfehlungen, die Professor Peter Fröhle und
Diplomingenieur Josef Oberhofer von der TUHH bei der Abschlussveranstaltung in
der Hollenstedter Estetalschule am Mittwoch vorstellten. Hier ein Überblick.
1. Sehr hohe Priorität hat es, Hochwasserrückhaltung im Einzugsgebiet der
Este zu schaffen. Nach der Abwägung von Wirksamkeit, Zukunftsfähigkeit und
Realisierungschancen zeigt sich: Eine kombinierte Lösung wird am besten
bewertet. Dazu gehören Rückhaltebecken am Oberlauf, die den Abfluss des
Hochwassers zeitweise zurückhalten und ihm die Spitze nehmen können, und
gesteuerte Hochwasserpolder in der Marsch, die im Alten Land zusätzlich als
Beregnungsreserve und Tidebiotopfläche nützlich sein könnten.
2. Eine angepasste, ressourcenschonende Landwirtschaft könnte die
Sedimentprobleme verringern. Durch erosionshemmende Bodenbewirtschaftung,
beispielsweise mit nicht wendenden Bearbeitungsgeräten, und das Einarbeiten von
Ernterückständen als Mulch kann der Bodenabtrag reduziert werden – und damit
eine direkte Ursache des Sedimenteintrags.
3. Die Sohle der Este sollte rauer werden. Kies im Gewässerbett
beispielsweise könnte die Fließgeschwindigkeit und den Sedimenttransport
drosseln.
4. Wer flussübergreifend denken will, darf die Maßnahmen nicht einer
einzelnen Gemeinde überlassen. Das gab Josef Oberhofer den gut 70 Teilnehmern
mit. „Sie glauben gar nicht, wie viele Bürgerinitiativen sich bilden, sobald wir
mit einem Vorhaben in die Fläche gehen“, meint der Wasserbauingenieur. Auch für
Kommunen seien im Zuge der Gefahrenabwehr der Handlungsdruck und damit die
Versuchung von Alleingängen groß. Zudem fehlten sowohl im Wasserrecht als auch
im Bereich der Landwirtschaft noch klare rechtliche Instrumentarien, um
Maßnahmen durchsetzen zu können.
Wie Kreisbaurat Hans-Hermann Bode versicherte, ist aber schon im August ein
Treffen der Landkreise Harburg und Stade auf Landratsebene geplant. Die
Richtung: Gründung eines Verbundes. „Wir werden auf Hamburg zugehen müssen“,
sagte er und begrüßte freudig Olaf Simon von der Hamburger Behörde für Umwelt
und Energie. Bodes Kollegin Monika Scherf aus dem Landkreis Harburg betonte:
„Das Projekt KLEE ist nicht nur wissenschaftlich modellhaft, sondern auch darin,
wie drei Jahre Zusammenarbeit zu einem besseren Verständnis der Akteure aus
Verwaltung, Politik und Interessengruppen geführt haben.“
Dass für konkrete Maßnahmen Geld in die Hand genommen werden muss, ist klar.
Welch vielfältige Fördermöglichkeiten es beim Bund und der EU gibt, erläuterte
Heide Stephani-Pessel vom Projektträger Jülich.
Den 123 Seiten starken KLEE-Abschlussbericht gibt es zum Download.
www.klee-este.de
vom 24.06.2016
Der Kommentar von Anping Richter
Warm und
trocken an der Este
Geld
wird es auf jeden Fall kosten, die KLEE-Empfehlungen umzusetzen. Viel Geld. Aber
auch, wenn für Rückhaltebecken und Polder, Entschädigungen und Kiesbett
Millionen fließen müssen: Das dürfte wenig sein gegen die Schäden, die dadurch
verhindert werden können. Jahrhunderthochwasser scheint es in der letzten Zeit
schließlich häufiger zu geben.
Nicht umsonst werden innovative Formen der
gemeinde- und länderübergreifenden Kooperation in Sachen Klimaschutz vom Bund
mittlerweile als besonders förderwürdig beurteilt. Schon heute ist kein
Versicherer bereit, mit Anwohnern in hochwassergefährdeten Gebieten eine
Elementarversicherung abzuschließen. Wenn individuelle Vorsorge ausscheidet,
müssen wir solidarische Konzepte entwickeln. Wenn die Anrainer geschlossen und
entschlossen handeln und sich nicht scheuen, Geld für einen zukunftsfähigen
Hochwasserschutz in die Hand zu nehmen, können wir an der Este dem nächsten
Jahrhunderthochwasser vielleicht zuvorkommen – und dann warm und trocken zu
Hause sitzen, während andere sich fragen: Warum haben wir uns nicht früher
zusammengetan?