Es ist später August. Fünf Uhr Dreißig. Ich stecke den Kopf aus dem Fenster. Obwohl es nicht geregnet hatte, riecht der Tag wie frisch gewaschen. Er lässt aber schon die spätsommerliche Schwere des Tages ahnen. Kein Hauch von Dunst oder Wolken. Einer dieser Tage die so einfach zu fühlen und so schwer zu beschreiben sind dass man sich sagt, später August eben.
Ohne besonderen Grund habe ich es eilig hinaus in den Garten zu kommen. Plötzlich habe ich das Gefühl "du mußt Angeln gehen! Und es müssen Äschen sein!". Ich drehe mich um mich selbst und
den aufkommenden Tag zu erahnen. Ich habe das Gefühl rundum zufrieden zu sein. Kaum habe ich Zeit Kaffee zu trinken. Das Stück Brot, zum Kaffee gedacht, stecke ich mir in die Tasche meiner Hose. Angelrute, eine Äschenrute, die Schnur und die Fliegen stecke ich in den Rucksack und draußen bin ich.
Es sind ja nur fünfzig Meter bis zum Gartentor aber, ich fühle mich erst frei als ich es hinter mir zugeschlagen habe. Ich überquere die Hauptstraße und den Trichter den der Krieg dort gelassen hatte. Anstatt die Straße zu nehmen wähle ich den Weg durch den Föhrenwald. Die Gräser und Farne stehen kniehoch und sind trotz des frühen Morgens trocken. Nur vom Boden geht ein leichter, wohltuender Humusgeruch aus der auf Feuchtigkeit im Boden schließen lässt. Die Sonne fängt an Lichterspiele zwischen den Ästen der Föhren zu veranstalten und die ersten Strahlen erreichten den Boden des Waldes.
Als ich die Schotterstraße die durch den Wald führte überquerte, bleibe ich stehen. Oder ich folge dieser Straße oder ich würde später ein ganzes Stück zurück, den Bach hinauf gehen müssen.
Ich muß lachen. Keine Frage; durch den Wald und dann den Bach entlang nach oben, bis zur Brücke. Dann den Bach entlang hinunter bis an die Mündung wo die Äschen stehen. Es würde spät werden bis ich am Standgebiet der Fische an kommen würde. Ich schätze ungefähr halb elf.
An einem Tag wie diesem hat Zeit keine Relation. Sie ist ein Begriff so abstrakt wie Universum oder Unendlichkeit, man benutzt sie einfach aus Gewohnheit, nimmt sie aber nicht wahr. Allein das Wandern durch den Wald, die Lichtreflexe und die Geräusche und Gerüche die mit aufsteigendem Tag vielfältiger und dichter werden, rechtfertigten den Verlust des Begriffes "Zeit" im eigenen Sein.
Der kleine Pfad den ich entlang laufe führt an einen großen Ameisenhaufen von roten Waldameisen vorbei. Wie jeder Mensch muß ich stehen bleiben und dem dringenden Wunsch in diesen Ameisenhaufen zu stochern mit großem psychischem Aufwand widerstehen. Ich nehme mir aber die Zeit, wohl besser die Freiheit, dem Treiben dieses wohl bemerkenswertesten Sozialgefüges eine Weile zu zusehen. Aber, ich bin unterwegs um Fische zu fangen. Die Ameisen brachten schon Würmer, Käfer und Schmetterlinge in den Bau. Wollen die Ameisen mich lehren dass ich ein Nichtsnutz bin?
Ich entgehe mit wenig Eleganz aber Erfolg einer Attacke der Ameisen auf meine Füße und setzte meinen Weg etwas nachdenklicher fort.
Aber bald komme ich an den Hang zum Bach. Eigentlich, auf Grund der Jahrhunderttausende des Bestehens des Baches, ein steiles Flußufer, an dem sich die Vegetation dem Bach zu stark änderte. Die Föhren treten zurück, Berberitzen, Hochfarne, Weiden, Vogelbeere, Haselnußsträucher und Erlen nehmen zu. Der Boden wird karstiger, Kräuter die wir Unkraut nennen, nehmen zu und die Erwartung auf einen guten Fang auch. Wohl weil der Bach in unmittelbare Nähe gekommen ist und sein Geruch in einen eindringt. Wie bei jedem Tier so ist auch beim Menschen der Geruch von frischem, trinkbarem Wasser ein psychischer und physischer Referenzpunkt erster Ordnung einer der eine Assoziation hervorruft die aus grauer Vorzeit kommen.
Ich gehe den Hang hinunter; ich korrigiere mich: "ich schlittere den Hang mit Genuß hinunter" und lande mit der Nase in einem Brennnesselstrauch.
"Kann ja nicht immer alles gut gehen." Das erinnert mich aber daran, das Brennnesseln beim Fischfang notwendig sind. Das aber später.
Nun den Bach hinauf, auf seiner linken Seite. Hier im mittleren Teil des Baches sehe ich Forellen. Nur, ich meine dass die Forelle nur im oberen Teil eines Baches oder Wildwassers gefischt werden sollten. Weiter unten hat die Forelle die Aufgabe zu wachsen und sich auf den Winter vor zu bereiten. Außerdem ist die Rivalität zwischen Äsche und Forelle nicht gerade wünschenswert.
Ich komme an die Brücke, immer noch die selbe. Seit meiner Kindheit. Aus Holz. Schmal und absolut zuverlässig! Mit einem hohem Geländer. Zwei Personen kommen gerade mal so an einander vorbei. Jetzt nach links und nun immer den Schotterweg entlang, den Bach hinunter zur Mündung. Langweilig? Alles Andere. Es gibt nichts schöneres als einen Weg entlang zu trotten und sich um nichts und niemanden zu kümmern. Noch nicht mal um sich selbst.
Ein Buntspecht fängt mit seiner Arbeit an und holt mich in die Gegenwart zurück. Ich gehe schneller. Das "Tock, Tock, Tock - TRRRRRRRRR" des Spechtschnabels auf dem Baumstamm wirkt scheinbar wie ein Metronom auf mich.
Rechts, beinahe im Wald versteckt, die letzten Häuser mit hübschen Gemüsegärten und Obstbäumen, schon mit gut entwickelten Früchten an den Ästen. Nur noch eine kurze Zeit und ich bin am Angelplatz angekommen.
Jetzt heißt es vorsichtig sein. Äschen reagieren sowohl auf Bodenerschütterungen; sie glauben es nicht, aber es ist so; als auch und ganz besonders auf Schatten über dem Wasser. Aus diesem Grund ist eine Äschenrute eben die dünnste und feinste aller Angelruten. Ich montiere die Spule, die kleinste und lautloseste. Wenn man die Rücklaufrätsche ausschaltet, läuft diese Spule absolut lautlos. Ich stecke die zwei Teile der Angel zusammen und montiere eine Fünffach-Fliege an den Faden. Es ist seltsam aber, obwohl die Äsche zu den Salmoniden gehört, also ein Raubfisch ist, hat es wenig Sinn mit Spinner, Löffler oder Lebendköder zu fischen. Das Beste sind Kunstfliegen, so klein und leicht dass sie auf dem Wasser schwimmen.
Das Wasser ist, wie immer um diese Jahreszeit, bis zu einem Blickwinkel von ca. zwanzig Grad aus der Horizontalen total transparent. Das ist auch der Grund dafür warum die Äschen auf Schatten über dem Wasser fast hysterisch reagierten. Der ganze Schwarm reißt in uniformer Bewegung aus und es dauert eine lange Zeit bis er wieder "ansprechbar" ist.
Das Flußufer, aus einem extrem dünnem Humusboden, der wie eine Trommel wirkt, auf Schichten von losem Kalkgestein, überträgt leise Schritte mit Leichtigkeit in das Wasser und verändern dort den für die Äschen bemerkbaren Schwingungspegel der für sie wichtigen Geräusche.
Die Angel ist fertig. Ich lehne sie an einen Baum, wohlweislich etliche Meter vom Bachufer entfernt und schleiche mich an die Stelle von der aus ich den Fischschwarm gerade noch sehen kann. Er steht halb in einer schnellen Rinne aus Sand und halb über einer grob kiesigen Stelle mit turbulentem aber langsamer fließendem Wasser.
Gut! Ich schleiche mich zurück bis zu meiner Angelrute, nehme sie und, einen Bogen nach außen und Flußaufwärts machend gehe ich in Position. Ich bin nun ungefähr zehn Meter oberhalb der Äschen.
Das Werfen mit Fliegen ist schwieriger und mit mehr Bewegung verbunden als das Werfen anderer Ködern. Die Schnur hat kein Gewicht, die Köder, obwohl fünf, haben kein Gewicht. Was bleibt ist die Erzeugung von kinetischer Energie mittels der Schwingbewegungen der Rute. Vor und Rückschwingen unter gleichzeitigem Zugeben und Wegnehmen von Schnur erhöht die Peitschenwirkung und lässt die Schnur weiter ausschwingen. Der Vorgang ist an sich identisch beim Forellenfischen. Nur ist dort der Köder etwas schwerer und die zur Verfügung stehende kynetische Energie somit etwas größer; außerdem darf beim werfen und auch danach kein Schatten auf das Wasser fallen. Mein Vorteil, die Sonne steht hinter mir und die Schatten der Bäume werfen so lange Schatten dass der Meine glatt darin unter geht. Später am Tag werde ich mich weiter vom Bachufer zurückziehen müssen.
Ich wollte einmal jemanden sehen der die Fliege wirft und beim ersten Mal schon Erfolg hat.
Nach fünf, sechs Versuchen mußte ich eine kleine Pause "zur Neuorientierung" machen.
Ich habe Durst. Vor mit das beste Wasser dieser Erde. Aber, keine Chance. Oder ein mords Stück den Bach hinauf um die Ruhe hier nicht zu stören. Ich strecke die Finger meiner Hände. Nächster Versuch. Schwung, Leine einholen, Schwung, Leine zugeben und fliegen lassen. Ich spüre der Wurf ist gut, sehr gut. Die Fliegen legen sich auf das Wasser, an den Rand zwischen schneller und ruhiger Strömung und da ich genügend Schnur gebe, bleiben die Köder auch in dieser Position. Jetzt die Schnur so weit wieder zurück nehmen dass die volle Spannung auf die Angel übertragen wird. Dann
sofort mehr Schnur zugeben.
Das schnell fließende Wasser drückte die Fliegen glücklicherweise ständig nach außen so dass ich jetzt nur etwas warten muss. Dieses Warten ist ein ununterbrochenes angespannt sein. Die Strömung des Baches sowie die kleinen und kurzen Wellen übertragen ein dem Anbeißen eines Fisches ähnliches rucken, speziell bei dieser dünnen Angel. Ich versuche mich zu entspannen. Denkste!
In diesem Moment ein etwas längeres "lineareres" Zupfen. Ich schnellte die Angel mit einer kleinen, vorsichtigen Bewegung zurück um den Köder nicht aus dem Fischmaul zu reißen. Spüre noch einen kleinen, verspäteten, Ruck und muß meine Bewegung mittendrin abbrechen. Ich habe noch eine zweite Äsche am Köder!
Jetzt heißt es schnell sein. Die Äsche, anders als die meisten anderen Fische, kommt zuerst im Zickzack den Bach herauf um dann erst abzudrehen. Bei diesem hochjagen kann sich der Haken aber lösen. Nun aber mit zwei Fischen, die sich total asynchron bewegen! Meistens verliert man dabei sogar beide Fische. Es sei denn, man schafft es die Schnur einigermaßen schnell d. h. mit Höchstgeschwindigkeit einzuholen. Glück! Beide Fische kommen zwar erwartungsgemäß den Bach hoch aber gleichzeitig mit dem Trend an das andere Ufer, um in das bewegtere Wasser zu kommen. Das hält die Schnur etwas besser gespannt. An ein Aufspulen der Schnur ist trotzdem nicht zu denken. Es muß nach der Katastrophenmethode gehen. Schnur einziehen und fallen lassen auch wenn es danach noch so viele Knoten geben wird.
Beide Äschen hängen noch am Köder! Als ich die Fische näher an das hiesige Bachufer gebracht habe, macht sich das tiefere und schnellere Wasser in der Sandrinne bemerkbar. Die Spannung in der Schnur bleibt nun konstant. Nun habe ich die Beiden schon in einem spitzem Winkel an der Schnur hängen und ich kann sie gut sehen. Juhu! Zwei prächtige Fische! Beide ungefähr gleich groß und über das Mindestmaß gut hinaus.
Ich habe, wie üblich, keinen Kescher dabei. Ich habe keinen. Na und? Die Schur mit gleichbleibender Spannung immer schneller anziehen und die Beute mit leichtem Schwung ans Bachufer befördern muß eine einzige Bewegung sein. Dabei muß die Beute aber irgendwie fast senkrecht unter einem stehen.
Gelungen! Ich nehme die Fische vorsichtig von den Haken. Nun muß leider der Schlag auf den Fischkopf kommen. Nicht zu vermeiden. Aber ich möchte die Äschen ja heute Abend essen. Sonst muß ich sie jetzt wieder zurück ins Wasser geben.
Ich lege die Fische ins Gras und sehe mich nach einer Brennnesselstaude um. Die kommen hier oft zu häufig vor. Meine Nase fängt wieder zu jucken an. Es ist auszuhalten. Ganz in der Nähe, in einer kleinen Kiesmulde, ist schon eine. Handschuhe, die ich nun wirklich habe, habe ich vergessen. Nein, doch nicht! Habe den rechten Handschuh im Rucksack. Die Äschen liegen noch im Gras. Wer sollte sie auch wegnehmen? Mit Handschuh und Fischmesser zurück zu den Brennnesseln. Ich schneide einen guten Strauß jüngerer Stängel mit ungefähr vierzig Zentimeter Länge ab. Ich habe es eilig zurück zu den Fischen zu kommen. Die müssen gleich ausgenommen werden. Ich verzichte auf das Auswaschen um den Schwarm Äschen nicht zu stören. Ich nehme das Weidenkörbchen und stelle hoch erfreut fest dass es beinahe zu klein ist.
Die Brennnesseln lege ich zum Teil auf den Boden des Körbchens, stopfe einen Teil in die geputzten Fische und decke mit dem Rest der Brennnesseln die Fische zu.
Deckel auf das Körbchen, Körbchen in den Rucksack und Rucksack in den Schatten.
Nun habe ich Zeit um einen großen Gedanken zu formulieren. Ich fühle mich beinahe als Philosoph. "To fish or not to fish, that is the question." Weil ich halt ein gewöhnlicher Mensch bin, entschließe ich mich noch einen Wurf zu wagen. Nur einen, das ist doch klar! Eine glatte Herausforderung des Glücks. Hasardspiel, Blödsinn!
Ich versuch es.
Als ich zur Angel zurück komme und den Schnursalat sehe, überlege ich es mir noch ein mal. Es nützt aber nichts. Die Schnur muß so oder so aufgespult werden. Ans Werk. Es geht wider Erwarten sogar sehr gut. Ich habe scheinbar so systematisch eingeholt dass die Schnur sauber in Schlingen auf einander gefallen ist.
Ich untersuche die Fliegen. Auch alles in Ordnung. So viel Glück muß doch herausgefordert werden!
Es gibt kein Gesetz dass das vorschreibt, aber ich gehe natürlich wieder an die gleiche Stelle von wo aus ich die zwei Äschen an Land gezogen hatte. Der erste Wurf zum warm werden. Weit daneben. Der zweite liegt schon etwas besser aber noch zu arg in der Strömung. Der dritte Wurf endlich fühlt sich, die Fliegen noch in der Luft, sehr gut an. Schnell gebe ich Schnur nach. Die Sonne steht schon etwas schräger am Himmel und die Schnur und die Fliegen sind im Glitzern des Wassers nur noch zu erahnen.
Die Schnur wird vom Wasser etwas weiter abgetrieben so dass ich unwillkürlich mehr Schnur nachgebe. Noch im abspulen spüre ich einen federnden Ruck. Stark, kurz und nach unten ziehend. Der Fisch muß die Fliege gepackt und mit einer Kehrtwendung wieder in das tiefere und schnellere Wasser zurückgekehrt sein. Muß eine gute Äsche sein.
Dieses mal läuft die Schnur gegen meinen Willen noch ein ganzes Stück ab bevor ich sie spannen kann. Das erhöht die Gefahr dass der Fisch sich vom Haken befreit. Andererseits ist die Strömung mein bester Helfer. Die Schnur bleibt gespannt. Die Rute biegt sich stark und federnd durch. Nein, doch nicht!
Der Fisch kommt in der Strömung nach oben, auf mich zu. Bei so einem Manöver kann der Haken ganz leicht wieder frei werden. Da bin ich "leicht" überfordert. So schnell kann ich nicht einholen und schon gar nicht spulen. Innerlich bin ich bereit zu resignieren. Außerdem sehe ich weder Fisch noch Schnur im flimmernden Wasserspiegel! Das kann nicht gut gehen. Doch!
Plötzlich ist die Spannung wieder da. Die Äsche hat im letztem Moment, ungefähr auf gleichen Höhe mit mir, im Bach den gleichen Weg genommen wie die zwei anderen Äschen in meinem Körbchen. Doch nicht alles verloren!
Wieder bin ich gezwungen die Schnur nach der absoluten Katastrophenmethode zu holen. Ein kurzer Versuch zu spulen führte zum Verlust von einigen Metern Schnur. Die Äsche gewinnt Punkte. Der Haken scheint aber sehr gut zu sitzen. Wie ich später feststellen werde, bestens! In der Ecke des Fischmauls, hinter dem Gelenk.
Anstatt nun nach unten zu schwenken, die Äsche muß ein richtiger Querkopf sein, zieht sie weiter nach oben. Als der Zug der Schnur zu stark wird, schwenkt sie auf mich zu. Wieder verliere ich Schnur. Die Angelrute ist so weich und ohne Signal dass ich denke: "die bist du los". Flach an meinem Ufer, ohne Leine, schwenkt der "Querkopf" endlich den Bach hinunter.
Ich holte Schnur "auf Teufel komm raus" und schaffte es! Endlich wieder Spannung in der Angel. Nun kann ich den Fisch mit gleichmäßigen Bewegungen ziehen. Ich habe das Gefühl für die Länge der Schnur die ich zugegeben habe verloren.
Tatsache ist daß der Fisch in der Bachmündung steht, beinahe fünfzig Meter unterhalb von. Ich habe Angst daß die Schur reißt. Auf dieser Länge ist sie eigentlich und mathematisch schon überfordert.
Also, noch mal tief Luft holen und so behutsam wie möglich ziehen.
Die Sonne steht jetzt so weit im Westen daß das Glitzern auf dem Wasser in ein leichtes Grau übergegangen ist. Das machte die Wasseroberfläche auch wieder undurchsichtig. Außerdem scheint die Sonne mir ins Gesicht. Es bleibt also beim "nach Gefühl und mit viel Glück". Zwanzig Meter habe ich schon geschafft, plötzlich kein Zug mehr in der Schnur! "Die ist weg", denke ich.
Sagenhaft die Enttäuschung.
Wie in der Schnur so ist plötzlich auch aus mir alle Spannung und Anspannung weg. Ich hole die Schnur, ohne dem Aufmerksamkeit zu schenken, ein und versuche an der Wasseroberfläche ein Zeichen von Bewegung zu sehen die auf einen flüchtenden Fisch schließen läßt.
Auf einmal spüre ich in der Schnur die ich mit der rechten Hand am einholen bin, einen Ruck. Ich beginne mich zu ärgern. Fisch weg; nun auch noch die Köder! Der Zug in der Schnur bleibt, verändert aber dauernd die Spannung und den Zugwinkel. "Der hängt noch!" Ich bin verblüfft, ja erschrocken!
Ich ziehe mit Angel und Schnur gleichzeitig und wechselweise. Hurra! Da ist sie wieder! Ich kann es nicht fassen. Die Äsche, nun als Kämpfer mit Intelligenz ausgezeichnet und nicht als "Querkopf", ist in der Rinne hoch und wieder Richtung anderes Bachufer in das turbulentere aber langsamere Stück des Wassers hinüber geflitzt. Deshalb so lange keine Spannung in Schnur und Angel.
Jetzt sehe ich auch manchmal einen Schatten wenn die Äsche wieder eine Zickzack-Operation durchführt.
In diesem Moment spüre ich wie der Fisch in die tiefere Rinne direkt vor mir eintaucht. Entfernung ungefähr sieben Meter. Ich stelle mich mit dem rechten Fuß auf die am Boden liegende Schnur, hoffend dass ich auf dem momentanem Ende derselben stehe.
Eine sicher etwas blödsinnige Art um zu vermeiden dass die Schnur ausläuft. Rein psychologisch und ohne großem Effekt. Fünf Meter nun. Die Äsche steht im spitzen Winkel vor mir. Zum ersten Mal sehe ich sie. Wunderschön!
Habe den Kämpfer nun auf drei Meter vor mir. Bachhang und Wassertiefe rechnend ist es jetzt an der Zeit den Fisch zu landen. Dieses Mal mit etwas mehr Zuversicht. Es sind keine zwei gleichzeitig und der Haken hat schon die unglaublichsten Manöver in diesem Fischmaul ausgehalten.
Eine lange Zugbewegung an der Schnur. Die Spitze der Angelrute tief nach unten und mit einer langen Bewegung an der Schnur und die Angel nach oben bewegend, die Äsche hoch und seitwärts ans Ufer gehoben. Das wär's! Sie hat glatte sechsunddreißig Zentimeter und ist an der Oberseite schon recht dunkel.
Drei Stück an einem Tag. Und alle von der Sonderklasse. Herz was willst du mehr!
Diese Äsche passt noch nicht mal mehr in das Körbchen. Ich wiederhole die Prozedur des Brennnessel holen's, wickelte die Äsche von innen und außen darin ein, rollte das Ganze in meiner Mütze zusammen und steckte das Bündel in den Rucksack.
Jetzt bin ich entspannt und müde. Aber herrlich müde! Diese Welt ist in Ordnung.
Ich bezwinge den Durst und sehe mir das Tohuwabohu der Angelschnur an. Durch das darauf treten hatte ich die Schnur tief in das Gras getreten und mit Sicherheit beim verdrehen des Fußes auch noch wunderschön verknotet. Mir kommt der Gedanke dass ich mich bei der nun bevorstehenden Sisyphusarbeit auch ins Gras setzen könnte. War gar nicht so schlimm! Wenn ich mich nicht im Fliegenhaken gefangen hätte, währe kein Problem aufgetreten. Ich habe einige Mühe mich ohne Schmerzensschreie von dem Haken in meiner Haut zu befreien. Kann ja nicht immer alles gut gehen, oder?
Nun merke ich meinen Rücken und meine Beine. Langsam kommt der Zeitbegriff wieder in mein Leben zurück. Ich schaue nach der Sonne. Es ist fünf Uhr am Nachmittag. Vielleicht viertel nach Fünf.
Noch eine Stunde bis nach hause. Plötzlich spüre ich den Durst wieder. Das Stück Brot in der Hosentasche habe ich vergessen. Aber ein ordentlicher Schluck Wasser muß jetzt sein. Ich nehme meine Sachen und gehe den Bach am Ufer entlang aufwärts nach dem ich die Innereien der drei Äschen in das Wasser geworfen habe.
An einer flachen Stelle gehe ich im Kiesbett des Baches an das Wasser und trinke mich voll wie ein Kamel. Nichts schmeckt besser!
Nach hause nehme ich den schnelleren Weg. Aber immer noch eine drei viertel Stunden.
Es ist mittlerweile später Nachmittag oder früher Abend. "Blue Hour" ist in dieser Jahreszeit für diesen Zustand des Tages wohl die passendste Definition. Zumindest fällt mir dazu nichts anderes ein.
Gartentor auf, rein ins Haus und zuerst mal aus den Schuhen raus und das Hemd vom Körper.
Die Äschen ins Waschbecken und mit Vorsicht die Brennnesseln in den Abfalleimer. Jetzt die Fische ausgewaschen und die Schuppen entfernen. Diese, relativ groß, fliegen wie üblich überall hin und es wird eine schöne Arbeit geben die Küche wieder sauber zu kriegen. Dadurch dass die Fische in Brennnesseln eingelegt waren, sind sie frisch und leicht zu schuppen. Ich schlage die Äschen in ein Tuch ein um sie gut zu trocknen.
Den Holzfeuerherd anmachen lohnt nicht. Obwohl der Fisch so besser schmecken würde. Die elektrische Kochplatte mußte herhalten. Der Herd währe außerdem wohl etwas zu warm geworden. Ich brauchte wahrlich keine Raumheizung um diese Jahreszeit; es hat immer noch an die 28 bis 30 Grad, Celsius!
Ich fettete die Bratpfanne ein, würze die Fische mit ein wenig wildem Salbei und einem Hauch von Knoblauch. Der Eigengeschmack des Äschenfleisches ist an sich schon besser als jede angewandte Gewürzkombination. Ich hole einen Kopfsalat aus dem Garten. Der zum Fisch herrlich schmecken wird.
Gerne hätte ich noch Kartoffeln gehabt. Ich bin aber schon zu faul um welche zu kochen. Ein Stück Brot würde genügen. Natürlich nicht das dass ich den ganzen Tag in der Hosentasche herumgeschleppt hatte. Ich drehte die Fische in Mehl ohne das Mehl anzuklopfen. Die Äschen haben gerade so Platz in der Pfanne. Eine etwas größere Pfanne währe angemessener. Ist aber keine da die auch noch auf die Kochplatte passt. Deckel auf die Pfanne und warten.
Das Braten von Fischen oder auch Dünsten geht sehr schnell. Man muß nur dabeibleiben sonst fällt das Fleisch auseinander.
Ich schaffe gerade mal zwei Stück, die kleineren.
Die große muß in das kalte und hoffentlich zugige Bratrohr des Feuerherdes. Ein alt-bewährtes Plätzchen für kurzfristige Frischhalteaktionen. Kühlschrank ist keiner da.
Ohne Schuhe, ohne Hemd aber mit vollem Bauch lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück.
Rundum zufrieden mit der ganzen Welt.
Ich hatte den ganzen Tag über keine Menschenseele zu Gesicht bekommen.! Gibt es etwas schöneres?
Das war ein Tag gewesen!*
* 1959 - Rosental, Kärnten, Österreich